Bahnhofstraße als Fahrradstraße: Die Umfrage
Seit drei Monaten ist die Bahnhofstraße eine Fahrradstraße. Heute sagen 50% der Radler und Fußgänger dass sich für sie nichts geändert hat. Drei von vier der vom ADFC Befragten wünschen sich eine Reduzierung des Autoverkehrs.
Der Verkehrsversuch
Als erste Maßnahme des Mobilitätskonzeptes wurde die Bahnhofstraße in Wedel zur Fahrradstraße erklärt. Zunächst als Verkehrsversuch. Mehr Radverkehr und eine Reduktion des Autoverkehrs waren angezielt, um die Bahnhofstraße ruhiger, sicherer und lebenswerter zu machen.
Wie sieht es nach drei Monaten aus ?
Eine Reduktion des Autoverkehrs hat nicht stattgefunden. Der hohe Anteil an Autoverkehr macht die Fahrradstraßenbeschilderung zur Makulatur und erzeugt Unsicherheit bei allen Beteiligten. Das zeigt jedenfalls unsere Passantenbefragung vom 30. September 2023. Hier die Ergebnisse:
Die Befragung
Die Befragung erfolgte am 30.09.2023 (Samstag) zwischen 9:30 und 12:30 Uhr. 76 Fragebogen wurden ausgefüllt und zahlreiche ausführliche, auch kontroverse, Diskussionen geführt. Die Gespräche gingen zulasten der Anzahl der Befragungen, brachten aber interessante Aspekte und ergänzen das Bild der Befragung. Die Atmosphäre war aufgeschlossen und positiv. Einige Passant*innen suchten unseren Stand gezielt auf, begrüßten unsere Aktivitäten ungefragt.
Wer hat mitgemacht
43 jüngere (< 65 Jahre) und 33 ältere Passanten haben geantwortet. Bemerkenswert: Nur 3 Personen waren jünger als 30 Jahre. 32 Befragte waren Männer, 40 Frauen, auf vier Bögen fehlte die Angabe. 57 Passant*innen gaben Radfahren als bevorzugte Fortbewegung in der Bahnhofstraße an, 15 zu Fuß gehen; 3 waren multipel mobil und ein Passant outete sich als Autofahrer. Eine Kategorie ‚Autofahrer‘ konnte mit der einen Stichprobe nicht gebildet werden. Dass überproportional mehr Radfahrer*innen teilnahmen verwundert nicht, da wir uns als Radfahrclub präsentieren und Passanten auf dem Gehweg, nicht auf dem Parkplatz, interviewt haben.
Das Mobilitätsverhalten unterschied sich nicht zwischen den Geschlechtern. Unter den über 65jährigen gab es mehr Fußgänger (9 von 33, 27%) als bei den Jüngeren (6 von 42, 14%).
Frage 1: Besser oder schlechter ?
Etwa gleich viele Befragte nehmen keine Veränderung bzw. eine Verbesserung der Situation seit der Einführung der Fahrradstraße wahr. Das gilt für Radfahrende ähnlich wie für Gehwegnutzer. Drei Radfahrer*innen und ein Fußgänger (sowie der Autofahrer) nehmen eine Verschlechterung wahr. (Abbildung 1). Drei Fragebögen waren nicht auswertbar.
Frage 2: wie soll es weitergehen ?
Ca. 75% der Befragten wünschen sich eine Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs (MIV), entweder in Form von verkehrstechnischen Beschränkungen (z.B. nur für Anwohner) oder in Form einer Fußgängerzone. Die Fußgängerzone wird von den jetzigen Gehwegnutzern bevorzugt, die Einschränkung des Autoverkehrs von den Radfahrenden. Nur eine Minderheit ( < 10% der Befragten) möchte den Status quo erhalten oder zurück zur Situation ohne Fahrradstraße (Abbildung 2). Unabhängig davon, ob die Radler die gegenwärtige Situation als besser oder unverändert beurteilen, wollen nur jeweils 4 Personen jeder Antwortkategorie die Situation so belassen, wie sie jetzt ist. Das heißt, auch die Radler, die eine Verbesserung wahrnehmen, halten die gegenwärtige Situation für weiter verbesserungsbedürftig. Das wurde auch fast regelmäßig bei der Befragung so geäußert. Sechs Fragebögen waren bei dieser Frage nicht auswertbar.
Die Kommentare (Freitexte)
Ambivalent fallen die Kommentare aus: 10mal werden Drängeln, Hupen, zu enges und zu schnelles Überholen beklagt, während in 9 Kommentaren rücksichtsvolleres, langsameres und diszipliniertes Verhalten der PKW Fahrer seit Einführung der Fahrradstraße konstatiert wird. Hier wirken sich individuelle Einstellungen stark aus. Was bedeutet z.B. der Kommentar, das jetzt ‘weniger gedrängelt wird‘? Für den einen mag das positiv sein, für die andere immer noch inakzeptabel. Der ADFC teilt die letztere Einstellung. Sehr verschieden fällt auch die Beurteilung des Wegfalls des vorher existierenden Schutzstreifens aus. Einmal wird der Wegfall des Schutzstreifens begrüßt, weil dies mehr Sicherheit bringt, einmal wird der Wegfall beklagt, weil jetzt der den Radlern zustehende Bereich nicht mehr definiert ist. Allgemein zeigen die Kommentare, dass die veränderte Situation durch die Einführung der Fahrradstraße bei einigen Radlern das Selbstbewusstsein erhöht hat (das wird auch so direkt formuliert), während es bei anderen ein Gefühl der Unsicherheit verstärkt hat (auch das wird so formuliert).
Was also tun?
Durch mehr Aufklärung , z.B. zum Unsinn des bisherigen Schutzstreifens in der sog. Dooring Zone der parkenden Autos und zur korrekten Nutzung des Radweges in Gegenrichtung, ließen sich wohl einige Unsicherheiten klären aber das grundlegende Problem der fehlenden Orientierung und Sicherheit in der Bahnhofstraße als Fahrradstraße nicht beseitigen.
Die Fahrbahn der Bahnhofstraße ist so schmal, dass Fahrradfahrer nicht überholt werden dürfen, wenn die gesetzlichen Regeln eingehalten werden sollen. Daran hat die Einführung der Fahrradstraße nichts geändert. Die Fahrradstraße macht das Problem nur deutlicher. Die Radler*innen fahren mittiger auf der Fahrbahn, da sie den Abstand zum ruhenden Verkehr nun mit gutem Gewissen einhalten. Zu viele PKW Fahrer überholen trotzdem, nun mit noch geringerem Abstand. Radler*innen empfinden das enge Überholen als Provokation, Autofahrer*innen das - mehr oder weniger - mittige Radeln auf der Fahrbahn. Solange auf der Bahnhofstraße immer noch mehr Autos als Fahrräder unterwegs sind, wird dieser Konflikt durch Aufklärung nicht zu entschärfen sein. Wie der Konflikt zu lösen ist, zeigen die Ergebnisse dieser Umfrage: MIV reduzieren durch entschiedenere Schritte als das Aufstellen von Schildern für eine zwecks ungestörter Automobilnutzung weichgewaschene Fahrradstraße.
Fußgänger*innen beklagen zu enge Gehwege und dass noch immer auf dem Gehweg geradelt wird. Auch für dieses Problem schüfe eine ‘echte‘ Fahrradstraße, die von allen Radlern genutzt wird, weil sie sicher und stressfrei zu befahren ist, Abhilfe. Das allgemeine Fazit würden wir so interpretieren: Gerne weitere Schritte realisieren!
Noch was !
Die Stadt Wedel hat eine umfangreiche online Befragung initiiert. Bitte auf jeden Fall mitmachen: https://www.survio.com/survey/q/I4K6E2N7N6S9Q1L2H